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Eröffnung Ruth und Urban Stark, Langerwehe, 22.Januar 2012, 15.00 h

Liebes Ehepaar Stark,
liebe Frau Dr. Maass,
meine Damen und Herren,

„Brot und Spiele“ haben Ruth und Urban Stark ihre Ausstellung hier im Töpfereimuseum Langerwehe genannt und fragen im Untertitel nach den Lebenswerten. Sind Brot und Spiele alleine lebenswert oder gibt es noch andere Lebenswerte? „Brot“ steht hier – wie schon zu Juvenals Zeiten – für den notwendigen Lebensunterhalt, die „Spiele“ für die Zerstreuung, die Ablenkung, das hohle Vergnügen – ein Gegensatzpaar also. Während Ruth Stark in dieser Auseinandersetzung die Harmonie, also einen friedlichen Zusammenklang zu finden sucht, will Urban Stark provozieren, aufrütteln, bewusst machen. Er will die Menschen aus ihrem normalen Denken herausholen, ihren Blick auf Welt und Leben verändern helfen.

Nehmen wir die Idylle, neben der ich hier stehe: ein Kunstrasen, eine friedlich grasende Kuh und fünf Hunde, die nicht friedlich herumtollen. Es sind Spürhunde. Aber was sollen sie aufspüren? Es ist – leider – nur eine scheinbare Idylle. Die Kuh ist aus leeren Milchkartons, die Hunde aus Orangensaftkartons zusammengefügt. Die Assoziation – woher kommt die Milch: aus dem Kühlschrank und aus dem Tetrapak? – drängt sich auf. In engem  Zusammenhang dazu steht die allseits bekannte Reklame für eine berühmte Schokoladenmarke. Der Mensch hat den Bezug zur Realität verloren, er lebt in einer Scheinwelt, die auf Werbung und Konsum setzt.

Noch weiter im Streben, die Augen für die Umwelt wieder zu öffnen, Lebensumstände bewusst zu machen, geht Urban Stark in seiner in Mixed Media Technik hergestellten Gruppe „Sieben und eine Todsünde“ – sie steht drüben im großen Ausstellungsraum. Dargestellt und in schwarze offene Kisten verpackt und mit gebrauchten, aber beschriebenen Videobändern umwickelt sind die Symbole für Maßlosigkeit, Habsucht, Trägheit, Zorn, Hochmut, Wollust und Neid. Die Interpretationen Urban Starks fußen auf antiken und neuzeitlichen Philosophen ebenso wie auf den Evangelien. Dazu gehören die Philosophen Erich Fromm und Karl Marx für die Maßlosigkeit, das Lukas-Evangelium für die Habsucht, zur Trägheit zitiert er Johann Wolfgang von Goethe sowie Johann Gottlieb Fichte und zum Zorn den römischen Philosophen und Lehrer des Kaisers Nero, Seneca. Zum Hochmut ist er bei Friedrich Nietzsche und dem früheren deutschen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker fündig geworden. Der deutsche Frühromantiker Novalis und der französische Philosoph Julien Offray de La Metthrie erklären den Zorn und schließlich zur 7.Todsünde, dem Neid, hat Urban Stark beim französischen Schriftsteller und Existentialisten Jean-Paul Sartre die nötigen Definitionen gefunden. Es würde hier zu weit führen, wenn ich jetzt alle diese Zitate hier wiedergeben würde, meine Damen und Herren. Sie möchten ja schließlich die Arbeiten selber in Augenschein nehmen und sich selber mit den Themen auseinandersetzen. Und außerdem finden Sie sie auf den beschriebenen Videobändern.

Urban Stark hat die „Sieben Todsünden“ um die Stele mit der Fragestellung „Huhn oder Ei“ gruppiert. Zu letzterer hat er ein kleines Gedicht geschrieben, das wie folgt lautet:
„Huhn oder Ei
was war zuerst
das ist nicht die Frage

Die Frage ist vielmehr
was
bleibt.“
Das Ei in seiner perfekten Form begegnet uns in Urban Starks Arbeiten immer wieder als „Sinnbild der Keimzelle des Seins“ – wie es Frau Dr. Maass einmal ausgedrückt hat.

In unmittelbarer Nähe befinden sich die Arbeiten „Vogelfrei“ und „gefangen“. Sie stellen die Frage, in welcher Welt wir gefangen sind. Ein Kopf aus Keramik mit den deutlichen Zügen des Deutsche Bank Chefs Josef Ackermann versucht eine Antwort darauf zu geben: kann man alle Probleme mit Geld lösen? – sein Gewehr und sein Hut sind aus Geldscheinen aufgebaut. Das Geld übt heute die Gewalt aus, es ist allmächtig und allgegenwärtig. Frühere Jahrhunderte hatten dafür andere Metaphern – mit Sicherheit nicht weniger schockierend und gleichzeitig  bedrückend. Auch die anderen gezeigten Arbeiten von Urban Stark sind ebenso provokativ und aufrüttelnd wie die wenigen Beschriebenen. Eigentlich müsste man zu jeder Arbeit von Urban Stark etwas sagen, aber dann säßen wir heute Abend noch hier. Wenn Sie beim Betrachten Fragen haben, wenden Sie sich bitte an den Künstler selber. Er beantwortet Ihre Fragen gerne. 

Urban Stark wurde 1962 in St. Tönis geboren und studierte an der RWTH in Aachen.  Heute lebt er als selbständiger Künstler mit seiner Frau Ruth und vier Kindern im belgischen Kelmis, direkt hinter der deutschen Grenze. Seit 2004 hat er sich an unzähligen Gruppenausstellungen beteiligt und seit 2006 seine Arbeiten auch solo ausgestellt – überwiegend im Euregio-Raum Aachen.

Seine Frau, Ruth Stark, ist Jahrgang 1965. Sie ist seit 1984 mit Urban Stark verheiratet. Erst nach der Familienpause konnte sie sich ihrer großen Leidenschaft, der Keramik, voll und ganz, das heißt professionell widmen. Von 1996 bis 1999 machte sie eine keramische Ausbildung bei Töpfermeister Wolfgang Theis und Diplom-Keramikerin Birgit Flashoff. Seit 1999 ist sie in ihrem Atelier in Kelmis selbständig tätig.

Auf ihrer Internet-Seite bekennt sie: „Mein größtes Interesse gilt dem Menschen in seinem Umfeld, seiner Entwicklung und Veränderung. Seit Beginn meiner keramischen Tätigkeit bringe ich meine Gedanken über das Leben, Zusammenleben und den Tod in freien und angewandten Werken zum Ausdruck.“

 

Ruth Starks Oeuvre besteht also folgerichtig aus sorgfältig und liebevoll hergestellter Gebrauchskeramik, die keinen anderen Zweck erfüllen soll, als den Alltag des Anwenders zu verschönern, ihm im Sinne des Ausstellungstitels seine Umgebung „lebenswerter“ zu gestalten. „Nicht der Gegensatz, sagt sie, von täglichem Einerlei und gelegentlicher Schönheit, sondern das Einflechten von Schönheit in jeden einzelnen Tag erfüllt uns mit dauerhaft angenehmem Wohlgefühl und bietet uns einen Rückzugsraum aus der Hektik der profitorientierten Gesellschaft.“ Und damit sind wir wieder bei dem Thema „Brot und Spiele – lebenswert(e)“.

Ruth Starks Arbeiten sind je nach Zielsetzung auf der Scheibe gedreht, aus Platten oder aus Wülsten aufgebaut. Abgesehen von der reinen Geschirrproduktion sind sie oft aus der obligaten Drehsymmetrie gebracht: sie neigen sich paarweise einander zu oder wenden sich voneinander ab. Der Mensch kann je nach Stimmungslage selber entscheiden, wie diese figurativ antropomorph anmutenden Vasen und Dosen gestellt werden sollen. Die Keramikerin lässt ihm jede Freiheit. Ihre zeitlos schönen Formen erfüllen ein Höchstmass an Funktionalität, sie sind zum alltäglichen Gebrauch ebenso geeignet, wie sie auch als„Kunst im Alltag“ gelten können. Diese Kunst im Alltag erinnert an die urmenschlichen Bedürfnisse nach Geborgenheit, Wärme und Liebe. Und mit viel Liebe ist jedes einzelne Teil hergesellt, das die Werkstatt von Ruth Stark verlässt. Ein ganz besonderes Verhältnis hat sie zu ihren Teekannen. Sie sind alle als Einzelstücke konzipiert und gefertigt, jede hat ihr persönliches Gesicht und ihren Ausdruck. Die Grundformen variieren ebenso wie die einzigartigen Holzgriffe und deren Befestigung.

In ihren Dosen kann der neue Besitzer die „Schätze seines Lebens“ – wie sie es formuliert - aufbewahren, alle seine kleinen Geheimnisse sind hier gut aufgehoben. Gleichzeitig gestaltet Ruth Stark auch Urnen für den Abschied vom Leben. Es ist für sie ungemein wichtig, den Tod nicht tot zu schweigen, wie sie auf ihrer Internetseite schreibt.

Die Ausstellung „Brot und Spiele“ ist aber nicht nur zum Anschauen da, Ruth und Urban Stark wollen die Besucher aktiv in ihren künstlerischen Prozess mit einbeziehen. Sie haben eine Figurine vorbereitet, an der jeder Besucher auf seine Art weiterarbeiten kann bzw. darf. Diese Plastik trägt den Titel „Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes“ – frei nach C. J. Setz. Die gleichnamige Kurzgeschichte liegt in Kopie aus. Diese  Aktivitäten der Besucher werden durch tägliche Fotosequenzen festgehalten, so dass diesem „work in progress“ eine gewisse Dauer beschieden sein wird. Die Arbeit soll sich nach den Vorstellungen der Starks im Sinne des von Josef Beuys entwickelten Begriffs einer „sozialen Plastik“ entwickeln. Am Ende der Ausstellung Mitte April werden wir erleben, was aus dem Angebot von Ruht und Urban Stark an ihre Besucher geworden ist. Ein mit Spannung erwartetes Ergebnis. Ich kann Ihnen, meine Damen und Herren, die Mitarbeit an dieser Plastik nur inständig ans Herz legen. Im Übrigen: bei allem Ernst und aller Provokation, das Spielerische kommt in dieser Ausstellung auf keinen Fall zu kurz.

Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, mit einem Zitat von Gustav Weiß schließen, das auf  beide Starks zutrifft. Gustav Weiß hat gesagt: „Der Baum der Erkenntnis ist aus der Erde gewachsen. Er ist eine Metamorphose der Erde, wie auch das irdene Gefäß deren Metamorphose ist.“ Und weiter: „Dem einen Wahren ein anderes Wahres entgegen zu setzen, entspricht unserer Lebenserfahrung.“

Ich wünsche Ihnen, meine Damen und Herren, noch einen angenehmen Nachmittag hier im Töpfereimuseum Langerwehe – vor allem aber anregende Gespräche mit den beiden Ausstellern, Ruth und Urban Stark über ihre künstlerischen Intentionen. Ein Dank sei an dieser Stelle noch der Ausstellungsarchitektin Gudrun Wittig gesagt, die die Arbeiten der beiden Starks kongenial in Szene gesetzt hat. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

A. Soléau
F-14910 BLONVILLE SUR MER
27.Dezember 2011